Wenn Aussage gegen Aussage steht: die Rolle der Glaubwürdigkeitsbegutachtung bei Sexualstrafverfahren
Aussage gegen Aussage – und dann?
In kaum einem Bereich der Strafjustiz sind Glaubwürdigkeitsgutachten so bedeutsam wie bei Sexualstraftaten. Das liegt vor allem an der häufigen Beweiskonstellation: Aussage gegen Aussage. Es gibt oft keine objektiven Beweise, keine Zeugen, keine klaren Spuren – und dennoch steht viel auf dem Spiel: die strafrechtliche Verurteilung auf der einen, die Anerkennung des erlittenen Unrechts auf der anderen Seite.
» Mehr InformationenAussagepsychologische Gutachten werden von Experten erstellt und basieren auf professionellen Analysen der Aussagen. In der Regel kommen als Experten fachkundige Psychologen oder Psychiater infrage, die Aussagen objektiv und fundiert bewerten können.
Warum Gutachten für Opfer wichtig sind
Die Glaubwürdigkeitsbegutachtung schafft für Opfer von sensiblen Straftaten eine methodisch saubere Grundlage, um die Schilderungen des Erlebten ernst zu nehmen und zu prüfen – jenseits von Vorurteilen oder emotionalen Debatten. Für viele Betroffene ist das eine Möglichkeit, Anerkennung für das Erlebte zu finden und gehört zu werden.
» Mehr InformationenFür Beschuldigte: Verteidigung gegen den Anfangsverdacht
Die Beratung durch einen fachkundigen Anwalt ist für Betroffene wichtig, um juristisch richtig vorzugehen.
Beschuldigte in Sexualstrafverfahren haben das Recht zu schweigen – und müssen sich nicht selbst belasten. Im Gegensatz dazu sind Opfer als Zeugen oder Zeuginnen zur Wahrheit verpflichtet. Gerade deshalb wird Opferaussagen oft besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Umso wichtiger ist es für Beschuldigte, sich frühzeitig anwaltlich beraten zu lassen. Ein Glaubwürdigkeitsgutachten kann herangezogen werden, um die Frage zu klären, ob der Beschuldigte die Tat tatsächlich begangen haben kann oder ob wesentliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen.
Was genau wird begutachtet?
Die Glaubwürdigkeitsbegutachtung ist ein methodisches Verfahren, bei dem psychologische Sachverständige Aussagen analysieren. Es geht nicht um Persönlichkeitsdiagnosen oder psychische Belastungen, sondern um die Aussage selbst:
» Mehr Informationen- Ist sie in sich schlüssig?
- Besteht ein Detailreichtum, wie er nur bei tatsächlich Erlebtem vorkommt?
- Gibt es innere Widersprüche oder typische Merkmale erfundener Schilderungen?
Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit? Glaubhaftigkeit bezeichnet die Prüfung, ob eine Aussage inhaltlich schlüssig und plausibel ist, während Glaubwürdigkeit die Person betrifft, die die Aussage tätigt, und deren Zuverlässigkeit bewertet. Obwohl in solchen Gutachten vorrangig die Aussage geprüft wird, hat sich der Begriff Glaubwürdigkeitsgutachten im Strafrecht etabliert.
Bei der Begutachtung werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, die einen Einfluss auf die Aussagen haben könnten. Unter anderem prüft der Experte, wie detailliert und konsistent die Aussage ist. Hierbei wird auch bewertet, ob die Aussage über einen längeren Zeitraum hinweg gleich bleibt oder ob sich Teile der Aussage verändert haben.
Auch die Umstände, unter denen die Aussage getätigt wurde, werden bei dem Glaubwürdigkeitsgutachten unter die Lupe genommen. Psychischer Druck bei der Vernehmung oder eine Beeinflussung durch Dritte können sich auf die Aussage auswirken. Daher ist es wichtig, dass auch diese äußeren Faktoren von den Gutachtern berücksichtigt werden.
Sollte der Gutachter zu dem Schluss kommen, dass eine Aussage nicht wahrheitsgemäß ist, führt er außerdem eine Untersuchung zu den möglichen Motiven einer Falschaussage durch.
Das Ziel eines Glaubwürdigkeitsgutachtens ist es also, die Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit einer Aussage zu prüfen und auch eventuelle Falschbeschuldigungen auszuschließen.
Hinweis: Diese Begutachtungen kommen nicht nur in Sexualstrafverfahren zum Einsatz, sondern auch bei anderen Delikten – etwa häuslicher Gewalt, Stalking oder Fällen von Misshandlung im sozialen Nahraum. Überall dort, wo keine objektiven Beweise vorliegen, aber eine belastende Aussage im Raum steht, greifen Gerichte auf diese Form der sachverständigen Unterstützung zurück.
Psychische Ausnahmesituation und juristischer Beistand
Gerade bei traumatisierenden Erlebnissen ist eine verständnisvolle Zusammenarbeit unerlässlich.
Ein Glaubwürdigkeitsgutachten stellt für alle Beteiligten – ob Beschuldigte, Zeugen oder Opfer – eine enorme psychische Belastung dar. Das Verfahren greift tief in die persönliche Geschichte ein, stellt intime Fragen und kann existenzielle Folgen haben.
Das Gutachten beeinflusst nicht nur das Strafmaß oder einen Freispruch – es wirkt oft auch weit über das juristische Verfahren hinaus: auf das soziale Umfeld, das berufliche Leben und das persönliche Ansehen.
Fehlerhafte Einschätzungen – etwa durch mangelnde Erfahrung oder fehlende Neutralität des Gutachters – können fatale Konsequenzen nach sich ziehen. Eine spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei kann nicht nur die Aussageanalyse begleiten, sondern auch auf mögliche Gutachtereinflüsse reagieren, Gegengutachten beauftragen oder Befangenheitsanträge stellen. Wer hier zu lange zögert, riskiert, dass sich ein einseitiges Bild verfestigt – was möglicherweise schwerwiegende Konsequenzen haben kann.
Dies gilt gleichermaßen für Beschuldigte wie für Opfer: Während die einen sich vor ungerechtfertigten Anschuldigungen schützen müssen, benötigen die anderen verlässliche Strukturen, in denen ihre Aussagen ernst genommen und professionell geprüft werden. Fachlich kompetenter Rechtsbeistand schafft in beiden Fällen Sicherheit und sorgt dafür, dass das Verfahren fair verläuft.
Hinweis: Sowohl der sexuelle Übergriff als auch das Strafverfahren können bei Geschädigten tiefe Wunden hinterlassen. Der „Weisse Ring“ ist hierbei eine Anlaufstelle für psychische Unterstützung und Beratung.
Fazit
Glaubwürdigkeitsbegutachtungen sind kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Instrument, wenn Aussage gegen Aussage steht – insbesondere in Sexualstrafverfahren. Richtig eingesetzt, helfen sie, Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden – und leisten so einen Beitrag zur Fairness in besonders sensiblen Strafverfahren.
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